Gaby Peters  
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Susanne Schulte // Geschäftsführerin der GWK - Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit, Münster:
Gaby Peters // Die Plate-Spinning Machines

Jedem und jeder entlockt die „Plate-Spinning Machine“ des Modells „Tea Set“ von Gaby Peters – das hier ganz besonders herausgehoben werden soll – ein Lächeln, ein Lachen sogar, nicht allein bei der ersten Begegnung, sondern auch noch bei der zweiten und dritten und auch dann noch, wenn man länger vor dem Objekt verweilt und das Geräusch, das es verursacht, langsam als Lärm empfindet und schließlich von ihm angenervt ist. Wir lachen zunächst, weil wir die Maschine spontan witzig finden. Bleiben wir stehen, beobachten das Geschehen, identifizieren wir die Elemente und spüren den Bewegungen nach, erkennen wir jedoch einen Hintersinn und dass mehr als bloß ein sich verflüchtigender Witz in dieser Arbeit steckt: ein Weckruf, sozusagen, zur Selbstreflexion und -kritik. Hier wird der Spießer, der Spießer auch in uns, aufgespießt – ganz unblutig geht das ab, im Lachen.

Was sehen wir? Was sehe ich? Einen alten runden Küchen- oder Wohnzimmerklapptisch aus Holz, ohne Tischdecke, nackt, mit Gebrauchsspuren im Furnier, mit Geschichte. Es ist ein praktischer, kein wirklich schöner Tisch von der Stange, durch langjährigen Gebrauch individualisiert. Und ein weißes Kaffeeservice für 6 Personen, industriell produziert, mit grün-pinkem Blumendekor. Dieser setzt einen deutlichen, exzentrischen Akzent auf Tellern, Untertassen und Tassen. Das realistisch gemalte Bild suggeriert handwerkliche Fertigung, tatsächlich ist es gedruckt, ein Abziehbild – Abziehbild auch des Traums von der Idylle, vom trauten Heim und gelebter Individualität, den die verschnörkelten Glaskännchen für Milch und Zucker ebenfalls spiegeln. Ein durchaus kitschiges Setting, welches das bürgerlich-kleinbürgerliche Wohnzimmer evoziert, für das es zugleich symbolisch steht.

In dieses Set hat Gaby Peters eine ihrer „Plate-Spinning-Maschinen“, das zweiarmige Modell „Afternoon Tea“, installiert. Auch in diesem Modellnamen, der eine serielle Fertigung suggeriert, als sei dieser Apparat ein normales und nützliches, industriell hergestelltes und im Elektrohandel käufliches Haushaltsgerät, spiegelt sich bürgerlicher Alltag, Durchschnittlichkeit, Normalität: die angelsächsische Gewohnheit – Gaby Peters hat u.a. in Schottland gelebt, außerdem hat sie Englisch studiert –, am Nachmittag zu festgesetzter Zeit Tee zu trinken, und sei’s, wie hier, aus Kaffeetassen, und sei’s, wenn die Welt rundum zusammenfällt. Und als leidenschaftliche Kuchenesserin assoziiere ich dazu natürlich unseren deutschen, etwas antiquierten, Kaffeeklatsch und die Redewendung „Wenn’s Kaffee gibt, ist’s viere“ – ein Ausdruck anscheinend unerschütterlicher Gewohnheit und Stabilität, einer selbstgenügsamen Bürgerlichkeit, die sich endgültig eingerichtet hat.

In dieses Afternoon-Setting also hat Gaby Peters ihre Tellerdreh-Maschine installiert. Sie sieht wie ein industrielles Serienprodukt aus Plastik aus und kommt im modischen, an rundliche, englisch-amerikanische Küchenmaschinen erinnernden Retrodesign daher. Farblich ist diese ‚Küchenmaschine’ auf das Service abgestimmt. Der weiße kugelige Korpus, der mitten auf dem Tisch steht, hat etwas vom Bauch einer übergroßen Teekanne. Er birgt einen Motor, der den pinken Drehkopf oben drauf antreibt.

  An ihm befinden sich zwei lange dünne Arme, die sich im Uhrzeigersinn drehen und die durch ihre Bewegung die sechs Teller im Gegenuhrzeigersinn in Bewegung setzen und im Drehen halten. Denn der Tisch ist nicht normal gedeckt – hier verlassen wir das bürgerliche Wohnzimmer und gehen zurück in den Raum der Kunst –, sondern die sechs Teller sind auf spitzen, etwa 30 cm langen, senkrecht auf der Tischplatte stehenden Holzstäben platziert. Sie liegen dort auf, ohne festgemacht zu sein, fallen allein deshalb nicht herunter, weil sie sich schnell drehen, angetrieben werden durch die Spinning-Machine in ihrer Mitte.

Auf der Höhe, auf der sich beim Kaffeetrinken normalerweise die Köpfe befinden, drehen sich hier die sechs Teller: als seien sie Metapher der abwesenden Köpfe. Und irgendwie menschlich mutet auch die Spinning-Maschine an. Erinnert sie nicht an eine weibliche Figur, mit ihrer schmalen Taille und den breiten Hüften? Karikiert sie nicht die Hausfrau, mit ihrem überproportional kleinen Köpfchen, den überlangen Armen, die sich emsig und ohne Unterlass drehen? Die sich irgendwie menschlich drehen, nicht maschinell exakt. Das Gleichmaß des Automaten stört eine leichte Unwucht, diverse Irregularitäten. Das empfinde ich als sympathisch; es ist mir nah, vertraut. Die Unwucht entsteht aus der unberechenbaren Schwingung der Arme im Kontakt mit den unberechenbaren rein zufälligen und ganz individuellen Schwingungen der sich um ihre je eigene Achse drehenden Teller.

Diese sind ja auf den Spitzen der Holzstäbe nicht befestigt, sie liegen nur lose und mit der minimal möglichen Fläche jeweils auf. Das System ist extrem labil, nur innerhalb eines kleinen Spielraums gelingt das Jonglieren. Die Balance ist permanent gefährdet, in sich selbst sowie durch Einwirkung von außen. Das Bewusstsein dieses Risikos aber bereitet neben der Überraschung, die eine solche Konstruktion birgt, Spannung und Vergnügen. Man wird nicht müde, dem Drehen zuzuschauen, den Kratz- und Klirrgeräuschen zu lauschen, gerade weil die Möglichkeit des Scheiterns, der Absturz, jeden Augenblick Wirklichkeit werden kann - aber nicht Wirklichkeit werden soll. Das Vergnügen am potentiellen Scheitern ist zum einen die ‚Angst-Lust’, die die Beobachtung begleitet, zum andern die Freude daran, dass das Scheitern immer wieder NICHT geschieht und die Erleichterung beim Nachlassen des Bangens um die „guten Stücke“.

Und so sehr man geneigt ist, in die Bewegung einzugreifen, die Maschine ein wenig zu foppen, so sehr scheut man sich jedoch zugleich, dieses zu tun. Ich habe bisher niemanden außer Antje Hassinger erlebt, der/die sich traute, die Bewegung anzuhalten oder in Gang zu setzen. Auch wenn man weiß, dass man, läuft die Maschine, jeden Teller jederzeit herunternehmen und wieder aufsetzen könnte, wagt dies niemand sonst zu tun. Und man muss die Teller aus ihrer Bewegung heraus herunternehmen. Denn sobald die Drehmaschine stillsteht, fallen sie von den Stäben und gehen zu Bruch.