![]() |
||||
---|---|---|---|---|
![]() |
Gaby Peters | |||
![]() |
||||
![]() |
Arne Reimann // Eröffnungsrede zur Ausstellung *Forgotten Funhouse*, 2014 |
![]() |
||
Uff. Stau. Schon bei der Ausfahrt. Die Insassen im Auto fangen schon an zu maulen. „Wann geht’ s denn weiter – ist es noch weit?“ Dann weiter. Im Stop-and-Go. Es geht nur schrittweise voran. Endlich am Parkplatz angekommen. Ein freundlicher Herr in Orange winkt uns zum nächsten. Alles voll. Letzten Endes dann doch noch eine schmale Parklücke zum Abstellen des Autos. Alle raus. Fast jeder war wahrscheinlich in dieser oder einer vergleichbaren Situation? Sie waren vermutlich auch schon mal in einem der Freizeit- und Vergnügungsparks, hier, in den Niederlanden, oder sogar im Mutterland der Funparks in den USA? „Funhouse“ bezeichnet ein Laufgeschäft, der gebräuchliche Begriff für Belustigungsgeschäfte und Unterhaltungsanlagen, wie Abenteuer- oder, Katastrophensimulationsanlagen, Geisterbahnen, Spiegellabyrinthe. Dabei wird der Weg durch die verschiedene Stationen oder Räume zu Fuß oder mit einem Wagen durchquert, in denen einzelne Shows oder Spezialeffekte präsentiert werden. Es sind meist ältere technische aber vom Spaßfaktor gleichwertige Attraktionen, die in Vergnügungsparks arrangiert sind. Begrifflich werden darunter eine räumliche Gruppierung von mehreren Fahrgeschäften („fliegende Bauten“) zusammengefasst mit Karussells, Riesenrädern, Luftschaukeln, Achterbahnen, Autodromen, Autoscootern, Belustigungsgeschäften, Schaubuden, Ponyreiten, manchmal artistischen Vorführungen sowie meist Bier- oder Festzelten, und gerne ein paar „Fressbuden“. Ein Vergnügungspark kann dauerhaft oder zeitlich begrenzt sein, fest installiert als Freizeitpark, oder mobil, dann werden sie Jahrmarkt, Kirmes oder Rummel genannt. Gaby Peters bezieht sich auf historische, fest institutionalisierte Freizeitparks, „vergessene Vergnügungsparks“: Dreamland auf der schon erwähnten Coney Island, Prypiat Park bei Tschernobyl, Six Flags in der Nähe von New Orleans. Für die Bewohner der überfüllten Großstädte der Jahrhundertwende konnte es aus Platz- und Geldmangel nicht mehr die herkömmlichen Vergnügungs- und Entspannungsmöglichkeiten geben – sie mussten künstlich reproduziert werden. Der Ausritt, die Reise, die Schlittenfahrt, die Seefahrt – das Abenteuer schlechthin, einst ein Privileg der Oberschicht, wurde nun mit Fahrgeschäften wie der Petersburger Schlittenfahrt, dem Pferderennen Steeplechase, dem Untergang von Pompeji, der Schweizer Bergbahn, der Flussfahrt mit dem Baumstamm Shoot the Chutes und der Geisterbahn der Masse zugänglich gemacht. So auch auf Coney Island. Mit der Entwicklung der Motorkraft und des elektrischem Lichts entwickeln die neuen Fahrgeschäfte ein zentrales Thema: die Hybris des Technischen; den Reiz einer modernen, industrialisierten Welt, die sich genau an jenem Abgrund positioniert, an dem die von ihr selbst erzeugten Gefahren gerade noch von einer im selben Maße gesteigerten Fähigkeit zur Katastrophenverhinderung gebändigt werden. So war das „Brennende Haus“ damals beispielsweise ein beliebter Nervenkitzel. Diese Gefahr, der man erst im letzten Moment entkommt, kombinierten die Fahrgeschäfte mit der Reproduktion des Seltenen – der technischen Reproduktion einer Sensation. Anfang des 20. Jahrhunderts galten Vergnügungsparks als billige Unterhaltung für das Proletariat. Als Maxim Gorki Coney Island besuchte war er tief erschüttert, wie leicht und mit was für niedrigen Effekten sich die Masse bereitwillig verführen ließ. Erst mit dem Scheitern der Moderne und dem Beginn der Postmoderne wurde die Architektur der Vergnügungsparks untersucht und neu bewertet. Aber vieles hat sich erhalten. Dem technischen Fortschritt entrissen sind die Vergnügungsorte verlassen, keiner kümmert sich mehr um die Fahr- und Laufgeschäfte, die Natur und die Zeit erobern sich die Flächen zurück. Der Charme des schnellen Vergnügens, der jauchzenden Schreie, der wuselnden Menschenmengen, kippt in einen morbiden Charme der Vergänglichkeit, dem Verloren-Sein als ausgedehnte raum-zeitliche wie auch körperliche Erfahrung, dem romantisierenden Erinnern. Was passiert mit den Objekten, wenn sie zurück gelassen wurden? In der heute zu eröffnenden Ausstellung im Kunstverein Paderborn zeigt Gaby Peters fast ausschließlich neue Arbeiten. Sie wurde 1980 in Trier geboren, studierte 2001-2009 Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz bei Dieter Kiessling, dann machte sie von 2009-2010 ihren Master of Fine Art an der Glasgow School of Art. Die Vergangenheit, die eingeschriebene Zeit in ein Objekt, findet sich gleich daneben: Eine alte Hollywoodschaukel. Der Erfinder des Gartenmöbels ist nicht bekannt, aber es fällt auch, wie Coney Island, in die Zeit um die Jahrhundertwende. England wird hier als Ursprungsland vermutet, das mit seinen Seebädern, wie beispielsweise Brighton Pier, auch in die Ära der Vergnügungsparks eingerechnet werden muss. Das Möbel steht ebenso, wie auch die Vergnügungsparks, für Freizeitgestaltung und lädt zum Verweilen ein. Nur eben nicht im Garten, sondern es ersetzt die Couch vor dem heimischen Fernseher. Atmosphärisch wird die Installation durch eine bunte Lichterkette und einen Papierblumenschmuck, die wie vom letzten Fest übrig geblieben von der Decke hängen. Forgotten Funfairs zeigt einen filmischen Zusammenschnitt aus Found Footage Videos von verlassenen, aufgegebenen und vernachlässigten Funparks, die es auf dem ganzen Globus gibt. |
Sie veranschaulichen die unterschiedlichsten Gründe, warum sie nun keine Funktion mehr haben, seien sie kulturell, sozial oder politisch, doch die uniforme Erscheinungsweise verblüfft: Iraq (Dream City), Lebanon (Beirut Lunapark), Israel (Superland), the Palestinian Territories (Funland), Rwanda (Bambino Supercity), Colombia (Hacienda Napoles& Jaime Duque), Indonesia (Dunia Fantasia), China (Nanhu&Shimlong), Turkmenistan (Turkmenbashi’s World of Fairy Tales) und natürlich in den USA (Dollywood)* – um hier weitere Beispiele zu nennen. Eine genaue Liste der Orte, die die Künstlerin zusammengetragen hat, finden die Besucher in der Installation. Die Künstlerin verwendete mehrfach automatisierte Spielzeuge, um einen menschlichen Faktor in das eigentlich vorprogrammierte Verhalten der Objekte zu bringen. Davon sehen Sie aber in der Ausstellung nur wenig. Der Arbeitsprozess der Künstlerin befindet sich in einer Phase der Transformation. War vorher die perfekte Maschine das erklärte Ziel, wie beispielsweise bei No Milk Today, geht die Künstlerin jetzt einen weiteren Schritt in ihrem Werkprozess. Reduzierter und fragmentarischer, der Zwischenschritt des Prototypen wird wichtiger - die handwerklichen Spuren am Objekt - die dreidimensionale Skizze im Raum. Sichtbare Zeichen eines Arbeitsprozesses, der sich im Wandel befindet. Dagegen stehen die ausformulierten Maschinen und Objekte für abgeschlossene Projekte. Sind es nun die skizzenhaften Prototypen, wie die Konfettimaschine, oder ist es doch die technisch sauber hergestellte Maschinenoptik, die die Arbeit der Künstlerin charakterisieren? Das ist eine Frage, die sich momentan nicht genau beantworten lässt. Vielleicht sind beide Teile des Arbeitsprozesses gleichwertig und müssen je nach Arbeit neu entschieden und bewertet werden. Den Titel für Forgotten Funhouse hat sie absichtlich gewählt um mit gebrauchten Materialien arbeiten zu müssen, um die zeitliche Einschreibung in die Objekte zu ermöglichen, den perfekten Schein zu brechen. Und das provisorische, die erschaffene Idee, wird bereits auch ohne perfekten Glanz erfahrbar. No Milk Today ist eine sich entziehende Nonsens-Maschine der perfekt ausgearbeiteten Generation, sie gehört zur Serie der Verweigerungsmaschinen (2012). Im Inneren der Aluminiumkonstruktion dreht sich eine vorwärts rotierende Walze. „NO MILK TODAY“ ist dort zu lesen, fortwährend, immer wieder tauchen die drei Worte im Sichtfenster auf. Damit kippt das gängige Verständnis von Maschinen als zweckgebundene und funktionale, nutzbringende Apparate ins Absurde. Zudem bezieht diese Maschine aber eine historische, britische Nostalgie mit ein, die schon eben bei den englischen Seebädern anklang. Mit einer minimalistischen Formensprache schafft die Künstlerin ein eigenständiges Werk, das autonomes Kunstobjekt, aber auch nihilistische Maschine ohne Output ist. Boooaah. Den ganzen Tag durch die unterschiedlichsten Themenbereiche gelatscht, über Mexiko und Atlantis in den Westernbereich Silver City, die Wikinger und China Town noch mitgenommen, im Petit Paris sauteuer Pommes und Schnitzel gegessen – danach noch ein Kaffee – und dann noch im Space Center durchschütteln lassen. Durch den Colorado und Deep in Afrika zur Black Mamba, da wollten alle noch drauf. Aber diese Schlangen. Alles dauert ewig. Dann noch einmal in der langen Schlange Grand-Canyon-Bahn wieder anstehen. Das verdirbt die Laune. Und irgendwann ist auch genug. Alle einsammeln, ab zum Ausgang. Gaby Peters erinnert uns mit ihren Objekten, Maschinen und Installationen an das Morbide des Verfalles, das Vergängliche. Was passiert mit Prototypen der schnellen Sensation, des kurzfristigen Vergnügens, wenn sie zurückgelassen werden, sie überkommen sind. Sie selber hat den Unterschied mit dem Vergleich zwischen einer Handzeichnung und einer Maschinenzeichnung verdeutlicht: beide haben ihre Qualitäten, sind aber unterschiedlich in der mittelbaren Bedeutung, die Reminiszenzen des technischen Fortschrittsglauben – der Sensation – zur wirklich tief empfundenen menschlichen Erfahrung und Erinnerung. Aus diesem Unterschied nährt sich die Beziehung der Objekte in der Ausstellung FORGOTTEN FUNHOUSE. So: nun noch den obligatorischen Aufkleber auf dem Auto abholen und wieder zurück in die reale Welt. |
|||