Gaby Peters  
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James Hutchinson // Meine Nase hat keinen Hund
Text zum Katalog "still confused but on a higher level", 2012
Als mein Hund, Frank, zwölf Wochen alt war, durfte er endlich die Enge meiner Wohnung und meines Gartens verlassen und die Umgebung erkunden. Nach anfänglicher Begeisterung fand er sich – auf der ersten Treppenstufe vor dem Mietshaus sitzend und die Nachbarschaft beäugend  – plötzlich mit der Realität konfrontiert. Nichts war wie erwartet. Die Welt war nicht nur erheblich lauter und größer als er sie sich vorgestellt hatte; es gab vor allem viel zu viele neue Gerüche für seine Nase, die einmal ein hochsensibles und anspruchsvolles Instrument werden sollte. Verängstigt zitternd kauerte er sich zusammen.

Hunde sind natürlich in der Sicherheits-, Schutz- und Medizinbranche, auf Grund ihrer Fähigkeit verschiedene Gerüche zu unterscheiden, allgegenwärtig. Man kann ihnen beibringen, Drogen oder Sprengstoff trotz stärkerer Umgebungsgerüche und durch dicke Materialien zu erkennen und sie können sogar die ersten Anzeichen von Lungenkrebs anhand der Atemluft eines Patienten entdecken. Aber Hunde sind Lebewesen, die teures Training und tägliche Zuwendung benötigen – daher ist es der natürliche kapitalistische Wunsch, sie sobald als möglich durch eine Maschine zu ersetzen. Theoretisch sollte ein solches Gerät, das Gerüche in ihre Einzelteile zerlegt, relativ unkompliziert sein – ein Duft ist schließlich nichts anderes als ein Chemiecocktail, der durch den Verfall einer Substanz ausdünstet, und sollte daher, wie andere Substanzen auch, zu analysieren sein. In der Praxis ist jedoch ein verlässliches künstliches Instrument, das realen Situationen gewachsen wäre, noch Zukunftsmusik. Weil es gerade dazu entworfen wurde, bleibt ein solches Gerät natürlich intrinsisch mit der Idee einer Hundenase verbunden, jedoch, im Gegensatz zu Roboterfischen, die Wasserverschmutzung aufspüren, sieht der Mechanismus selbst enttäuschenderweise dem replizierten Organismus überhaupt nicht ähnlich. Letztendlich handelt es sich um einen einfachen Plastikkasten, angefüllt mit Elektronik und einem digitalen Display zum Ablesen der Daten.

Es ist verlockend zu überlegen, dass eine von Gaby Peters entworfene künstliche Hundenase ein exzentrischeres Äußeres bekäme. Wahrscheinlich würde sie aber nicht viel anders aussehen als die Geräte die weltweit von Wissenschaftlern in Universitätslabors entwickelt werden. Der große Unterschied läge im Verhalten der Maschine. Anstatt harte Fakten der chemischen Komponenten eines Duftes zu sammeln, wäre Peters Gerät so konstruiert, dass es Franks Zusammenbruch auf der Treppenstufe nachvollziehen könnte. In dem Augenblick, in dem das Gerät die vielen Signale empfinge, für das es konstruiert ist, würde die Komplexität des Vorgangs die Maschine in Panik versetzen. Sie würde unberechenbar und entgegen den Erwartungen des Mechanikers reagieren. Das Paradoxe wäre natürlich, dass die Furcht eingebaut wäre: die Maschine existierte nur, um die Welt zu fürchten. Dieses Paradox haben wir schon in früheren Werken gesehen, besonders in Peters „Plate Spinning Machine“, 2010 in der Glue Factory in Glasgow ausgestellt. Diese Maschine wurde explizit so gebaut, dass sie von ihrer eigenen Funktion überfordert ist: tatsächlich mussten die Angestellten der Galerie ständig in Furcht leben, dass Geschirr durch die Luft fliegen und zerbrechen könnte, sobald ihre Aufmerksamkeit auch nur einen Augenblick nachließ. Die Maschine heischt förmlich nach Aufmerksamkeit und treibt diese Forderung schier ins Lächerliche. Sie ist zuverlässig in ihrer Unzuverlässigkeit, die Aufgabe zu erfüllen, für die sie scheinbar gebaut wurde.

Mir scheint, dass Peters Maschinen speziell Ängste der westlichen Welt erkunden, die durch die globale Krise noch angeheizt werden. Die Geräte verbinden die unvermeidlichen Gefühle von Verunsicherung, die einher gehen mit einer zunehmenden Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der damit einhergehenden Nachfrage nach technischen Antworten auf jedes Problem.

  Die Maschinen bieten allerdings keine Lösungen für jedwedes erkennbare Problem: Stattdessen machen sie uns das Angebot unsere Ängste zu teilen und spiegeln unser Gefühl von Entfremdung wieder. Sie machen dies nicht allein durch ihr beunruhigendes Gebaren, sondern auch indem sie eine Form einnehmen, die uns ein tröstendes Gefühl der Nostalgie vermitteln soll. Die „Plate-Spinning Machine“ verbindet ein kitschiges Ensemble von Möbeln und Geschirr der frühen und mittleren Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, in Secondhandläden gesammelt und in Onlineschnäppchenmärkten wie ebay ersteigert.

Als Betrachter müssen wir die Balance finden zwischen den angenehmen Erinnerungen an Verwandtenbesuche und vergangene Zeiten, damals, als das Leben einfacher und stabiler erschien, und dem Gefühl von Panik, das wir empfinden in diesem sich ständig beschleunigenden und unsicheren Zeitalter. Die Maschinen arbeiten klar und kraftvoll, und doch sind sie genau so unsicher ob ihrer Funktion und ihrer Wahrnehmung von Zeit und Raum wie wir – ein Wirrwarr von Erinnerungen, Ideen und psychischen Zuständen.

Ein weiteres Beispiel bietet „No Milk Today“, eine Maschine, die über dreißig Jahre zu spät entwickelt wurde, die aber auch damals wohl kaum einen Investor für die Massenproduktion gefunden hätte. Überdimensioniert steht sie im Raum: Ihr Display zeigt den Satz „no milk today“, ihr Design aber scheint uns die Möglichkeit zu bieten, diese Nachricht zu ändern – wahrscheinlich zu einer Bestellung von Milch. Jedoch ist dies nicht der Fall, und nach kurzer Zeit, rotiert die Maschine weiter und die nächste Nachricht erscheint – wieder „no milk today“. Die Arbeit ist inspiriert durch den gleichnamigen Song der Herman’s Hermits von 1966, der vom Ende einer Beziehung in einem englischen Arbeiterviertel handelt. Der Titel bezieht sich auf den Zettel, den man für den Milchmann vor die Haustür legte, um anzuzeigen, dass keine Milchlieferung erwünscht war. Das Lied benutzt diese Nachricht als öffentlich sichtbares Zeichen eines unbewohnten, verlassenen Haushaltes. Peters Maschine bezieht sich auf diese Leere als einen Dauerzustand – immer wieder, Tag für Tag, zeigt „No Milk Today“ den fehlenden Bedarf an.

Zusätzlich weist die Maschine auf den Mechanisierungs-prozess hin, der den traditionellen Milchmann arbeitslos gemacht hat. Die Kältetechnik, heute ein Grundbedürfnis jedes (britischen) Haushaltes, hat die Notwendigkeit einer täglichen Lieferung reduziert – genauso wie die Allgegenwärtigkeit von Supermärkten und Privatautos. Heutzutage ist der Lebensmittelladen um die Ecke natürlich aus ähnlichen Gründen in Gefahr, wie auch durch die zusätzliche Konkurrenz von Online-Märkten. Ein weiteres Beispiel wie Menschen durch Technologie und mechanisierte Vertriebssysteme ersetzt werden.
Hier setzt wieder ein Gefühl von Nostalgie an, eine Maschine, die für eine frühere Zeit gebaut wurde (und tatsächlich sieht die Maschine aus, als stamme sie aus den 60ern), aber wo damals die Nachricht, die die Maschine zeigt, einen unbelebten Haushalt symbolisierte, ist heute die Leere auf der anderen Seite der Türschwelle: außerhalb des  Hauses. Es ist eine Nachricht ohne Adressat.

Vielleicht überträgt Peters ihre Ängste, Sorgen und Enttäuschungen angesichts der modernen Welt auf ihre Maschinen – indem sie Geräte konzipiert, die nur existieren, um zu entfremden –  überwindet sie ihre eigene Entfremdung. Selbst freiberuflich tätig, weiß sie, dass das Gefühl der Erleichterung, das sich nach Vollendung einer Arbeit einstellt, nur von kurzer Dauer ist. Sie verbleibt in einem dauerhaften Zustand der inneren Abkehr. Ich kann das nachvollziehen: Meine Arbeit hier ist getan und ich muss mich der nächsten Aufgabe zuwenden. Aber eigentlich ist das nun ein guter Zeitpunkt aufzuhören – Frank bettelt, dass ich mit ihm spazieren gehe – zum dritten Mal heute. Wenigstens einige von uns kommen also darüber hinweg...