Gaby Peters  
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Arne Reimann // Eröffnungsrede zur Ausstellung *Forgotten Funhouse*, 2014

Uff. Stau. Schon bei der Ausfahrt. Die Insassen im Auto fangen schon an zu maulen. „Wann geht’ s denn weiter – ist es noch weit?“ Dann weiter. Im Stop-and-Go. Es geht nur schrittweise voran. Endlich am Parkplatz angekommen. Ein freundlicher Herr in Orange winkt uns zum nächsten. Alles voll. Letzten Endes dann doch noch eine schmale Parklücke zum Abstellen des Autos. Alle raus.
Die Einen werden schon hibbelig, es dauert bis alle sich sortiert haben. Weiter zum Eingang. Von weitem sieht man schon die sich um mehrere Ecken windende Menschenschlange. Und die Traube vor den Kassenhäuschen. Endlich der Eintritt nach Alt-Berlin, endlich angekommen im Phantasialand.

Fast jeder war wahrscheinlich in dieser oder einer vergleichbaren Situation? Sie waren vermutlich auch schon mal in einem der Freizeit- und Vergnügungsparks, hier, in den Niederlanden, oder sogar im Mutterland der Funparks in den USA?
Stehen wir hier mitten drin in einem? In einem verlassenem? Natürlich nur im übertragen Sinne, denn die Ausstellung, in der wir uns hier befinden, betitelte die Künstlerin Gaby Peters FORGOTTEN FUNHOUSE und als Referenz zur Ausstellung wählte die Künstlerin den nachträglich gezeichneten Grundriss von Coney Island aus, dem legendären Vergnügungspark vor New York.

„Funhouse“ bezeichnet ein Laufgeschäft, der gebräuchliche Begriff für Belustigungsgeschäfte und Unterhaltungsanlagen, wie Abenteuer- oder, Katastrophensimulationsanlagen, Geisterbahnen, Spiegellabyrinthe. Dabei wird der Weg durch die verschiedene Stationen oder Räume zu Fuß oder mit einem Wagen durchquert, in denen einzelne Shows oder Spezialeffekte präsentiert werden. Es sind meist ältere technische aber vom Spaßfaktor gleichwertige Attraktionen, die in Vergnügungsparks arrangiert sind. Begrifflich werden darunter eine räumliche Gruppierung von mehreren Fahrgeschäften („fliegende Bauten“) zusammengefasst mit Karussells, Riesenrädern, Luftschaukeln, Achterbahnen, Autodromen, Autoscootern, Belustigungsgeschäften, Schaubuden, Ponyreiten, manchmal artistischen Vorführungen sowie meist Bier- oder Festzelten, und gerne ein paar „Fressbuden“. Ein Vergnügungspark kann dauerhaft oder zeitlich begrenzt sein, fest installiert als Freizeitpark, oder mobil, dann werden sie Jahrmarkt, Kirmes oder Rummel genannt.

Gaby Peters bezieht sich auf historische, fest institutionalisierte Freizeitparks, „vergessene Vergnügungsparks“: Dreamland auf der schon erwähnten Coney Island, Prypiat Park bei Tschernobyl, Six Flags in der Nähe von New Orleans. Für die Bewohner der überfüllten Großstädte der Jahrhundertwende konnte es aus Platz- und Geldmangel nicht mehr die herkömmlichen Vergnügungs- und Entspannungsmöglichkeiten geben – sie mussten künstlich reproduziert werden. Der Ausritt, die Reise, die Schlittenfahrt, die Seefahrt – das Abenteuer schlechthin, einst ein Privileg der Oberschicht, wurde nun mit Fahrgeschäften wie der Petersburger Schlittenfahrt, dem Pferderennen Steeplechase, dem Untergang von Pompeji, der Schweizer Bergbahn, der Flussfahrt mit dem Baumstamm Shoot the Chutes und der Geisterbahn der Masse zugänglich gemacht. So auch auf Coney Island.

Mit der Entwicklung der Motorkraft und des elektrischem Lichts entwickeln die neuen Fahrgeschäfte ein zentrales Thema: die Hybris des Technischen; den Reiz einer modernen, industrialisierten Welt, die sich genau an jenem Abgrund positioniert, an dem die von ihr selbst erzeugten Gefahren gerade noch von einer im selben Maße gesteigerten Fähigkeit zur Katastrophenverhinderung gebändigt werden. So war das „Brennende Haus“ damals beispielsweise ein beliebter Nervenkitzel. Diese Gefahr, der man erst im letzten Moment entkommt, kombinierten die Fahrgeschäfte mit der Reproduktion des Seltenen – der technischen Reproduktion einer Sensation.
Auch das Kennenlernen, in den modernen, beschleunigten Städten für deren vereinsamte Bewohner schwierig, wurde im Verrückten Haus beim Übereinanderfallen der Geschlechter im Barrel of Love vereinfacht und konnte danach bei einer Fahrt im künstlichen Schwan im Tunnel of Love vertieft werden.
Viele dieser mechanischen Wunderwerke stammten von Weltausstellungen und anderen nationalen Messen, so dass der Name „Messe“ für Vergnügungspark ebenso gebräuchlich war. Dieses technische Potential der kontinuierlichen Neuerung setzt sich im ideologischen Überbau fort. So wurden auf Coney Island gesellschaftliche, bis hin zu anarchistischen Gesellschaftsformen auf beschränktem Terrain erprobt. Es war eine soziale Laborsituation.

Anfang des 20. Jahrhunderts galten Vergnügungsparks als billige Unterhaltung für das Proletariat. Als Maxim Gorki Coney Island besuchte war er tief erschüttert, wie leicht und mit was für niedrigen Effekten sich die Masse bereitwillig verführen ließ. Erst mit dem Scheitern der Moderne und dem Beginn der Postmoderne wurde die Architektur der Vergnügungsparks untersucht und neu bewertet. Aber vieles hat sich erhalten.
Technische Neuerungen, größere, schönere, außergewöhnliche Attraktionen, immer neue Sensationen waren für die Parks obligatorisch.
Dreamland, Prypiat Park, Six Flags, fanden ein jähes Ende: Feuer, radioaktive Strahlung oder der Hurrikan Katrina – rohe, elementare Kräfte der Natur oder vom Menschen verursacht. Darin liegt eine gewisse Ironie, denn viele der Parks illustrieren Katastrophen, in Geschichten, Mythen und Themen verpackt.

Dem technischen Fortschritt entrissen sind die Vergnügungsorte verlassen, keiner kümmert sich mehr um die Fahr- und Laufgeschäfte, die Natur und die Zeit erobern sich die Flächen zurück. Der Charme des schnellen Vergnügens, der jauchzenden Schreie, der wuselnden Menschenmengen, kippt in einen morbiden Charme der Vergänglichkeit, dem Verloren-Sein als ausgedehnte raum-zeitliche wie auch körperliche Erfahrung, dem romantisierenden Erinnern.

Was passiert mit den Objekten, wenn sie zurück gelassen wurden? In der heute zu eröffnenden Ausstellung im Kunstverein Paderborn zeigt Gaby Peters fast ausschließlich neue Arbeiten. Sie wurde 1980 in Trier geboren, studierte 2001-2009 Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz bei Dieter Kiessling, dann machte sie von 2009-2010 ihren Master of Fine Art an der Glasgow School of Art.
Basis des Schaffensprozesses sind ganz einfach gesagt; Alltagsgegenstände. Im Eingangsbereich zeigt die Künstlerin die titelgebende Arbeit Forgotten Funhouse: sie besteht aus einer Tonne, einer Girlande, die auf dieser Tonne lehnt und diese zur Wand verbindet und daran befestigte Wasserbälle, wie Lampions. Alles ein bisschen schief, scheinbar abgestellt, manche Bälle sind schon in sich zusammengesunken. Es geht um den Zerfall, um den Prozess, der die Lücke auftut zwischen den Objekten, wenn sie einer Zeitlichkeit ausgesetzt werden. Ein skulpturales memento mori - ein Symbol der Vanitas, der Vergänglichkeit.

Die Vergangenheit, die eingeschriebene Zeit in ein Objekt, findet sich gleich daneben: Eine alte Hollywoodschaukel. Der Erfinder des Gartenmöbels ist nicht bekannt, aber es fällt auch, wie Coney Island, in die Zeit um die Jahrhundertwende. England wird hier als Ursprungsland vermutet, das mit seinen Seebädern, wie beispielsweise Brighton Pier, auch in die Ära der Vergnügungsparks eingerechnet werden muss. Das Möbel steht ebenso, wie auch die Vergnügungsparks, für Freizeitgestaltung und lädt zum Verweilen ein. Nur eben nicht im Garten, sondern es ersetzt die Couch vor dem heimischen Fernseher. Atmosphärisch wird die Installation durch eine bunte Lichterkette und einen Papierblumenschmuck, die wie vom letzten Fest übrig geblieben von der Decke hängen. Forgotten Funfairs zeigt einen filmischen Zusammenschnitt aus Found Footage Videos von verlassenen, aufgegebenen und vernachlässigten Funparks, die es auf dem ganzen Globus gibt.

 

Sie veranschaulichen die unterschiedlichsten Gründe, warum sie nun keine Funktion mehr haben, seien sie kulturell, sozial oder politisch, doch die uniforme Erscheinungsweise verblüfft: Iraq (Dream City), Lebanon (Beirut Lunapark), Israel (Superland), the Palestinian Territories (Funland), Rwanda (Bambino Supercity), Colombia (Hacienda Napoles& Jaime Duque), Indonesia (Dunia Fantasia), China (Nanhu&Shimlong), Turkmenistan (Turkmenbashi’s World of Fairy Tales) und natürlich in den USA (Dollywood)* – um hier weitere Beispiele zu nennen. Eine genaue Liste der Orte, die die Künstlerin zusammengetragen hat, finden die Besucher in der Installation.

Neben den installativen Objekten und den weiteren Arbeiten im oberen Geschoss des Kunstvereins zeigt Gaby Peters auch ein für mich sehr entscheidendes Video. So wichtig, weil es sehr komprimiert den künstlerischen Ansatz der Künstlerin verdeutlicht: Flügel. Ein Spielzeug-Aufziehhühnchen, das über und über mit Akkupunkturnadeln gespickt ist, schüttelt und hüpft so lange, bis die Spieße alle abgefallen sind. Es ist ein „Verzweifelter Sisyphos-Akt zwischen Befreiung und Auswegslosigkeit“ (Michael Pohl). Die „erstaunlich intensiven Emotionen“, die diese repetitive Befreiungsaktion auslöst, ist die der Empathie mit dem Aufziehküken, gelb und flauschig – Reminiszenzen an Kindertage mit einfachsten Mitteln und das Aufbäumen gegen äußere Zwänge.

Die Künstlerin verwendete mehrfach automatisierte Spielzeuge, um einen menschlichen Faktor in das eigentlich vorprogrammierte Verhalten der Objekte zu bringen. Davon sehen Sie aber in der Ausstellung nur wenig. Der Arbeitsprozess der Künstlerin befindet sich in einer Phase der Transformation. War vorher die perfekte Maschine das erklärte Ziel, wie beispielsweise bei No Milk Today, geht die Künstlerin jetzt einen weiteren Schritt in ihrem Werkprozess. Reduzierter und fragmentarischer, der Zwischenschritt des Prototypen wird wichtiger - die handwerklichen Spuren am Objekt - die dreidimensionale Skizze im Raum. Sichtbare Zeichen eines Arbeitsprozesses, der sich im Wandel befindet. Dagegen stehen die ausformulierten Maschinen und Objekte für abgeschlossene Projekte. Sind es nun die skizzenhaften Prototypen, wie die Konfettimaschine, oder ist es doch die technisch sauber hergestellte Maschinenoptik, die die Arbeit der Künstlerin charakterisieren? Das ist eine Frage, die sich momentan nicht genau beantworten lässt. Vielleicht sind beide Teile des Arbeitsprozesses gleichwertig und müssen je nach Arbeit neu entschieden und bewertet werden. Den Titel für Forgotten Funhouse hat sie absichtlich gewählt um mit gebrauchten Materialien arbeiten zu müssen, um die zeitliche Einschreibung in die Objekte zu ermöglichen, den perfekten Schein zu brechen. Und das provisorische, die erschaffene Idee, wird bereits auch ohne perfekten Glanz erfahrbar.

No Milk Today ist eine sich entziehende Nonsens-Maschine der perfekt ausgearbeiteten Generation, sie gehört zur Serie der Verweigerungsmaschinen (2012). Im Inneren der Aluminiumkonstruktion dreht sich eine vorwärts rotierende Walze. „NO MILK TODAY“ ist dort zu lesen, fortwährend, immer wieder tauchen die drei Worte im Sichtfenster auf. Damit kippt das gängige Verständnis von Maschinen als zweckgebundene und funktionale, nutzbringende Apparate ins Absurde. Zudem bezieht diese Maschine aber eine historische, britische Nostalgie mit ein, die schon eben bei den englischen Seebädern anklang. Mit einer minimalistischen Formensprache schafft die Künstlerin ein eigenständiges Werk, das autonomes Kunstobjekt, aber auch nihilistische Maschine ohne Output ist.

Den künstlerisch folgenden Schritt sehen Sie in Sorry, Not in Service. Die ursprünglich rotierende Scheibe, innerhalb einer Apparatur mit Motor und zwei Sichtfenstern, ist im wahrsten Sinne freigestellt. Der technische betriebene Vorgang wird nun durch die Bewegung der Besucherinnen und Besucher ersetzt. Wenn man die Treppe hochkommt liest man zuerst „Service“, dann „in Service“, dann „Not in Service“ dann „Sorry, Not in Service“. Es ist das Provisorische, der Prozess, der wieder sichtbar wird und den Besucher mit einbezieht.
Den Spaßfaktor greift dann die Konfettimaschine auf: ein säulenartiger Apparat. Ein Ventilator verteilt die bunten Papierschnipsel im ganzen Raum, wenn die Maschine über die Rutsche damit gefüttert wird. Konfetti ist das Material für aufgesetztes Vergnügen par excellence und wird – zu Karneval, zu Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten, in den Raum geblasen, wenn es lustig werden soll.

Haha, das auf verschiedenen Höhen installierte Spiegelkabinett mit den zähnebleckenden roten Mündern und die gerahmten troet-Papierarbeiten bilden den Abschluss der Ausstellung. Vor Joker-artigen Gummimündern, die auf Spiegeln montiert sind, befindet sich auf einer Sprungfeder jeweils eine Fake-Eisenkugel direkt vor den Mündern. Das schelmische Grinsen aus der Spaßfabrik wird konterkariert von der Möglichkeit der schwingenden Metallkugel. Stellt man sich nur den Klang vor, wenn die Kugel auf die Zähne trifft...
Nicht weniger Bauchschmerzen verursachen die troet-Zeichnungen: eine stilisierte Apparatur, bei der sukzessive in eine oder mehrere Geburtstagströten gepustet wird. Die verströmende Melancholie des maschinellen Zelebrierens und die Abwesenheit von Gästen veranschaulicht die Diversität im Œuvre der Künstlerin, von den vermenschlichten mechanischen Spielzeugen, über die Nonsense produzierenden Maschinen, hin zur Aufladung von gebrauchten Objekten, in die menschliche Geschichten eingeschrieben sind: der Gegenstand der künstlerischen Befragung ist das technisch konstruierte Objekt in seiner Beziehung zum Menschen.

Boooaah. Den ganzen Tag durch die unterschiedlichsten Themenbereiche gelatscht, über Mexiko und Atlantis in den Westernbereich Silver City, die Wikinger und China Town noch mitgenommen, im Petit Paris sauteuer Pommes und Schnitzel gegessen – danach noch ein Kaffee – und dann noch im Space Center durchschütteln lassen. Durch den Colorado und Deep in Afrika zur Black Mamba, da wollten alle noch drauf. Aber diese Schlangen. Alles dauert ewig. Dann noch einmal in der langen Schlange Grand-Canyon-Bahn wieder anstehen. Das verdirbt die Laune. Und irgendwann ist auch genug. Alle einsammeln, ab zum Ausgang.

Die Attraktionen, die Fahrgeschäfte, die Themenwelten – ja alles ganz nett, aber es bleibt doch ein fader Geschmack. Die Technik begeistert, diese Faszination ist erhalten geblieben. Doch ist alles doch nur Pappmaché. Nur eine virtuelle Hülle.
Heute sind diese Orte virtuell geworden – ich halte eines der besten Beispiele dafür in der Hand. Tablet, Phablet, Smartphones: die technischen Krücken bedienen dieselben flachen Spiel-, Freizeit- und Vergnügungstriebe. Sorgen für Zerstreuung. Technisches Pappmaché. Cyborgs ohne direkten Bezug, mit virtuellen Erlebnissen. Technisch verblendet?

Gaby Peters erinnert uns mit ihren Objekten, Maschinen und Installationen an das Morbide des Verfalles, das Vergängliche. Was passiert mit Prototypen der schnellen Sensation, des kurzfristigen Vergnügens, wenn sie zurückgelassen werden, sie überkommen sind. Sie selber hat den Unterschied mit dem Vergleich zwischen einer Handzeichnung und einer Maschinenzeichnung verdeutlicht: beide haben ihre Qualitäten, sind aber unterschiedlich in der mittelbaren Bedeutung, die Reminiszenzen des technischen Fortschrittsglauben – der Sensation – zur wirklich tief empfundenen menschlichen Erfahrung und Erinnerung. Aus diesem Unterschied nährt sich die Beziehung der Objekte in der Ausstellung FORGOTTEN FUNHOUSE.

So: nun noch den obligatorischen Aufkleber auf dem Auto abholen und wieder zurück in die reale Welt.

* Einen anderen künstlerischen Ansatz verfolgt Anoek Steketee mit ihrem Projekt DreamCity: http://www.anoeksteketee.com/projects/1-dreamcity/